4. Fastensonntag - 19.03.2023

Gedanken zum Sonntag
Segen

1. Lesung: 1 Samuel 16,1-13b

2. Lesung: Epheser 5,8-14

Evangelium: Johannes 9,1-41



„Kleine Sünden bestraft der liebe Gott sofort“ – so lautet ein Sprichwort.

Ein schwieriges Sprichwort.


Zum einen, weil es einen Zusammenhang zwischen einem Verhalten, einem Tun, oft sogar einem Missgeschick eines Menschen und einem sich anschließenden Ereignis darstellt.

Das Sprichwort beschreibt den Zusammenhang zwischen einem Verhalten bzw. einem Missgeschick und einem zeitlich nahen Ereignis.

Aber das ist eine Deutung, eine Deutung, die nicht zwingend und schon gar nicht logisch ist.


Und ich finde, das Sprichwort ist noch aus einem anderen Grund schwierig. Wenn der „liebe Gott“ die „kleinen“ Sünden sofort bestraft – was ist dann mit den großen Sünden? Wann bestraft er diese?

Am letzten Tag? Im „jüngsten Gericht“?

Und wer unterscheidet zwischen „klein“ und „groß“?

Und wer sagt, dass Gott bestraft, und was ist das dann?

Ich glaube, dass Sprichwort ist ein Versuch, Dinge zusammenzubringen, die nicht zusammengehören, es ist ein Versuch, Vorgänge zu deuten, die wir wahrnehmen.

Es ist ein Versuch, der - so finde ich –scheitert.


Es ist ein leicht daher gesagtes Sprichwort, das vielleicht witzig gemeint ist, aber das an der Sache und vor allem am Menschen vorbei geht.

Ganz abgesehen davon, dass Gott das Leben will und Jesus uns erlöst hat.


Im Evangelium wird ebenfalls ein unguter Zusammenhang zwischen zwei Dingen hergestellt.

Da ist ein blinder Mann – und gemäß der Vergeltungslehre – muss der Blinde oder seine Eltern etwas getan haben, was diese Blindheit verursacht hat.

Wer ist schuld an seiner Blindheit? Wer hat gesündigt? Er selbst?

Oder haben seine Eltern gesündigt und der Mann muss für die Sünden seiner Eltern büßen?

Die Jünger fragen bei Jesus nach.

Die Antwort Jesu ist eher ein Rätsel und eine Herausforderung und stellt nicht unbedingt zufrieden. Denn Jesus sagt: An ihm sollen „die Werke Gottes“ offenbar werden.


Der blind Gewesene erlebt - nach seiner Heilung - nun einiges.

Die Nachbarn und Bekannten fragen ihn an, vermuten einen Doppelgänger.

Die Pharisäer werden eingeschaltet und verhören den ehemals Blinden.

Das „wie“ ist für sie entscheidend, weil die Heilung ja an einem Sabbat, dem jüdischen Ruhetag, zustande gekommen ist. Und am Sabbat ist der Bewegungsradius des frommen Juden eingeschränkt, es darf nicht gearbeitet werden und es darf nicht geheilt werden.


Die Blindenheilung scheint so unmöglich, dass vielleicht ein Betrug vorliegt und der Mann gar nicht blind war. Daher werden die Eltern befragt und diese können die Blindheit des Mannes bestätigen.

Und schließlich wird der ehemals Blinde erneut nach dem Umständen seiner Heilung befragt.

Am Ende begegnet Jesus erneut dem Mann, der sich dann zu ihm, zu Jesus, bekennt.


Das Evangelium kann ich als Lerngeschichte sehen.

Die Jünger sind zum Lernen eingeladen, sie stellen die Frage nach dem Ursprung der Blindheit.
Ob sie durch das, was sie erleben, lernen, ist offen.

Die Pharisäer sind zum Lernen eingeladen – aber sie bleiben verhaften in ihren religiösen Vorstellungen, in ihrer Gesetzestreue und Gesetzesenge.

Der Blinde lernt: Denn der nun ehemals Blinde sieht mit den Augen des Körpers und erkennt und mit den Augen des Herzens.

Das Evangelium als Lerngeschichte fragt uns an.


Auch wir sind zum Lernen eingeladen.
Das Evangelium ist eine Lerngeschichte für uns, die erste Lesung – die Berufung des jungen David durch Samuel auch:

Es ist die Einladung, sich nicht vom Äußeren blenden zu lassen.

Es ist die Einladung, tiefer zu sehen als das, was wir augenscheinlich wahrnehmen.

Äußeres kann täuschen – die „schöne Gestalt“ eines Menschen, einer Sache, kann ablenken.


Das Evangelium ist die Einladung, zu versuchen, mit den Augen Gottes zu sehen.

Es ist die Einladung, vielleicht sogar Ermahnung, keinen Zusammenhang zwischen der Lebenssituation eines Menschen und einer vermuteten Sünde herzustellen.


Es ist die Einladung, über die religiösen Grenzen und Gesetze nachzudenken.

Jedes Gesetz, auch jede religiöse Vorschrift, muss daraufhin überprüft werden, ob sie dem Menschen dient, ob sie ihn näher zu Gott bringt, oder ob sie den Menschen von Gott fernhält und für seine gute Entwicklung hinderlich ist.


Das Evangelium ist vor allem die Einladung, mehr nach dem „wozu“, statt nach dem „warum“ zu fragen.

Im privaten wie im kirchlichen Leben.


Das „warum“ ist erforschbar. Warum gibt es hier in Borken/Homberg Katholik*innen?

Weil Menschen vor vielen Jahrzehnten hierher zogen, weil ihnen der Glaube wichtig war und sie eine Kapelle, eine kleine Kirche bauten.

Warum haben wir heute diese Kirche? Weil es in den 50er, 60er Jahren so viele katholische Christ*innen gab, dass man eine große Kirche brauchte.

Nach dem „warum“ kann ich forschen und ich werde Antworten finden. Aber die Frage richtet den Blick in die Vergangenheit, auf das was war, auch auf das, was gut war. Aber „warum“ fragt nach hinten, fragt in die Vergangenheit hinein.


Spannender ist die Frage: „Wozu ist die Kirche heute da?“

Die Kirche als Gebäude, wir als Gemeinde? Wozu sind wir da?

Ein Antwortversuch aus dem Evangelium heraus:

Wir sind da, damit an uns, damit durch uns die Werke Gottes offenbar werden.

Ein hoher Anspruch.

Aber die Frage nach dem „wozu“ blickt in die Zukunft, schaut nach vorne, motiviert und beauftragt.

Wozu sind wir da?


Eine Antwort ist für mich:

Um einander anzunehmen und uns und die Menschen mit dem Blick Gottes anzusehen.

Mit einem liebevollen, wertschätzenden Blick. Mit einer Zuwendung, die heilt und Leben öffnet, die den Menschen als Menschen sieht und versucht, ihn mit den Augen Gottes anzublicken.


Welche Antworten fallen ihnen dazu ein?




Peter Göb

Es gilt das gesprochene Wort

Gott,
öffne mir die Augen,
mach weit meinen Blick und mein Interesse,
damit ich sehen kann, was ich noch nicht erkenne.


Gott,
öffne mir die Ohren,
mach mich hellhörig uns aufmerksam,
damit ich hören kann, was ich noch nicht verstehe.


Gott,
gib mir ein vertrauensvolles Herz,
das sich deinem Wort und deiner Treue überlässt
und zu tun wagt, was es noch nicht getan hat.


Gott,
ich weiß, dass ich nur lebe,
wenn ich mich von dir rufen und verändern lasse. - Amen.