29. Sonntag im Jahreskreis - 22. Oktober

Gedanken zum Sonntag
Segen

Liebe Schwestern und Brüder,
auf die Frage, ob man denn als gläubiger Jude dem Kaiser Steuern
zahlen dürfe, antwortet Jesus: „Gebt dem Kaiser, was dem
Kaiser gehört, und Gott, was Gott gehört!“ Er trifft hier eine
Unterscheidung zwischen dem Bereich der Politik und dem der
Religion. Gott, so sagt uns Jesus, konkurriert nicht mit weltlichen
Machthabern – weder mit einem Kaiser noch mit einer
anderen Art von Regierung. Göttliche Macht und weltliche
Macht operieren nicht auf derselben Ebene und folgen einer
jeweils anderen Logik.


In unserer säkularen Gesellschaft scheint die Unterscheidung
zwischen Politik und Religion selbstverständlich, wird aber heute
nicht selten missverstanden. Zunehmend hört man, dass Politik
und Religion streng voneinander getrennt werden müssten.
Und auch umgekehrt wird gefordert, die Kirche solle sich
mehr auf ihr Kerngeschäft konzentrieren, anstatt in politischen
Debatten öffentlich Position zu beziehen. Der Religion – so die
Behauptung – tue es nicht gut, wenn sie politisch werde, und
genauso schade es letztlich der Politik, wenn sie sich in religiöse
Fragen einmische.


Eine derart scharfe Trennung von Politik und Religion lässt
sich aber in Wirklichkeit nicht durchhalten und sie widerspricht
unserem christlichen Glauben. Zum einen darf nicht übersehen
werden, dass Religion in vielen Regionen der Welt ein entscheidender
politischer Faktor ist. Zum anderen – und das ist
noch wichtiger – lässt sich unser Glaube nicht auf einen apolitischen
Kern reduzieren. 


Als Katholikinnen und Katholiken
sind wir durch das Gebot der Nächstenliebe aufgerufen, uns für
andere Menschen einzusetzen und denen zu helfen, die Not
leiden. Auch Papst Franziskus betont, dass zur Nächstenliebe
nicht nur Akte der direkten Hilfeleistung gehören, sondern
auch das, „was man […] zur Veränderung der gesellschaftlichen
Bedingungen“ tut (Fratelli tutti, Nr. 186).
Heute feiern wir den Sonntag der Weltmission und blicken
besonders auf die Situation der Christinnen und Christen im
Libanon und in Syrien. Gerade der Blick auf den Libanon zeigt
uns ganz konkret, worüber wir gerade abstrakt gesprochen
haben: Religion und Politik sind, obwohl an sich verschiedene
Bereiche, eng miteinander verwoben.


Im Libanon ist Religion ein realer politischer Faktor. Lange Zeit
gab es in dem Land keine Mehrheitsreligion – eine Besonderheit
unter den Staaten des Nahen Ostens! Maronitische Christen,
Schiiten und Sunniten waren zu gleichen Teilen in der libanesischen
Bevölkerung vertreten. Das politische System des Libanon
sollte daher einen Ausgleich zwischen den verschiedenen
Religionsgruppen bewirken. Man meinte, nur so sei ein friedliches
Zusammenleben aller möglich. Noch heute ist jedes der
höchsten Staatsämter einer der großen Religionsgruppen im
Land zugeordnet: Das Staatsoberhaupt muss laut Verfassung
ein maronitischer Christ, der Parlamentspräsident schiitischer
Muslim, der Regierungschef sunnitischer Muslim sein. Jede der
verschiedenen Religionsgruppen soll gleichberechtigt an der
Regierung beteiligt sein. Was wie eine gute Form politischer
Kooperation der verschiedenen Konfessionen und Religionen
aussieht, ist derzeit bei näherer Betrachtung jedoch auch Ausdruck
eines grundsätzlichen Misstrauens gegenüber den Mitgliedern
anderer Konfessionen oder Religionen. Die schwere
Krise, in der sich der Libanon heute durch Korruption und
Misswirtschaft befindet, ist auch eine Folge dieses politischen
Systems. Beim Zusammenspiel von Politik und Religion kann
es deshalb nicht nur um Proporz und Posten gehen, sondern
zuerst um ein Handeln, das am Wohl der Gemeinschaft ausgerichtet
ist.


Während der Staat seine Bürgerinnen und Bürger inzwischen
kaum noch mit dem Nötigsten versorgt, ist es die Zivilgesellschaft,
sind es besonders die Kirchen im Land, die sich für das Wohl aller
einsetzen: Sie betreiben Schulen, soziale Einrichtungen, Krankenhäuser
und organisieren Hilfsangebote. Es sind der Glaube an
Jesus Christus und sein Vorbild, die Frauen und Männer motivieren,
sich trotz der eigenen schwierigen Situation für andere einzusetzen.


Vielleicht erinnern Sie sich noch an die schwere Explosion
im Hafen von Beirut im August 2020, die große Teile der
Stadt zerstörte. Dabei verloren viele Menschen nahezu alles,
was sie besaßen. In dieser Situation waren es die Menschen
der Gemeinde St. Maron im Herzen Beiruts, die nicht nur den
Wiederaufbau ihrer Kirche stemmten, sondern auch ihr zerstörtes
Stadtviertel neu entdeckten. Wo braucht es Hilfe,
wer kann etwas einbringen, wie können wir Not lindern? Die
Gemeinde konnte so eine unglaubliche Hilfsbereitschaft entfesseln,
die die Nachbarschaft rund um die Kirche solidarisierte.
Besonders den Alten, den Einsamen, den Armen, den Kindern
galt das Augenmerk der helfenden Gemeinde.


„Gebt dem Kaiser, was dem Kaiser gehört, und Gott, was
Gott gehört“ – mit diesem Satz spricht sich Jesus nicht für einen
apolitischen Glauben aus. Im Gegenteil: Er ruft uns gerade dazu
auf, uns für die Armen und Ausgegrenzten einzusetzen. Ein
solcher Einsatz ist immer ein Einsatz für die Gemeinschaft und
das Gemeinwohl.


Auch Christen verlassen den Libanon, aber viele wollen auch
bewusst bleiben. Hanna Rahme, Erzbischof der Diözese Baalbek
Deir El-Ahmar, formuliert es so: „Wir sind doch als Christen
hier, um Christus zu bezeugen, und nicht nur dafür da, uns
um die Christen zu kümmern.“ Damit meint er: Christen haben
den Auftrag, sich nicht nur um die eigene Klientel zu kümmern,
sondern allen Menschen im Land beizustehen. Eine wichtige
und mutige Botschaft – nicht nur für den Libanon! Christen wie
er, die Menschen in St. Maron sind so Licht der Welt und Salz
der Erde im Nahen Osten.


Pfarrer Dirk Bingener
Präsident von missio Aachen


Ich wünsche dir Augen,

mit denen du einem Menschen ins Herz schauen kannst

und die nicht blind werden, aufmerksam zu sein für das, was dieser Mensch von dir braucht.


Ich wünsche dir Ohren,

mit denen du auch Zwischentöne wahrnehmen kannst

und die nicht taub werden beim Horchen auf das, was Glück und die Not ist.


Ich wünsche dir einen Mund,

der das Unrecht beim Namen nennt und der nicht verlegen ist,

um ein Wort des Trostes und der Lieben zur rechten Zeit.


Ich wünsche dir Hände,

mit denen du zärtlich liebkosen und Versöhnung bekräftigen kannst

und die nicht festhalten, was du in Fülle hast und teilen kannst.


Ich wünsche dir Füße,

die dich auf den Weg bringen zu dem, was wichtig ist,

und die nicht stehen bleiben vor Schritten, die entscheidend sind.


Ich wünsche dir ein Rückgrat,

mit dem du aufrecht und aufrichtig leben kannst

und das sich nicht beugt vor Unterdrückung, Willkür und Macht.


Ich wünsche dir ein Herz,

in dem viele Menschen zu Hause sind.



(nach Christa Spilling-Nöker)